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Current 93 - Metamorphosis
Scharlach #2


Current 93 muß heute als eines der wichtigsten Projekte innerhalb der mystisch und magisch inspirierten Musik angesehen werden. Seit seiner Gründung im Jahre 1982 durch David Tibet, John Balance (Coil) und Fritz H„amann (23 Skidoo) unterlag das Projekt, gleich einem grßen Rad der Metamorphose, ständigen Umwälzungen im personellen, thematischen und musikalischen Bereich. Einziger Fixpunkt blieb die Person David Tibets und mit ihm die Wurzeln, aus denen die heutige Arbeit wuchs. Erst heute, ein Jahrzehnt nach der Gründung und unzähligen äußeren Wandlungen stellt sich der Facettenreichtum seines Werkes in vollem Masse dar.

"Als damals alles mit LAShTAL und NATURE UNVEILED anfing, interessierte ich mich für eine Menge verschiedener Dinge und unterschiedlicher Arten von Musik, konnte selber aber kein Instrument spielen. In jeder Art von Musik fand ich etwas, das mich emotional bewegte und meine Idee war damals, etwas zu schaffen, das alles zusammenfasst, was ich mochte - aus der Musik, aus der Literatur, Ideen und Vorstellungen. Ich habe all diese Einflüße verbunden und versucht, damit mir, und hoffentlich anderen, den Effekt zu verschaffen, den ich an der Musik liebe, und zwar wenn du ein Stück hörst und dir dabei ein Schaür den Rücken herunterläuft. Eine Platte, die dies nicht erreicht, ist nicht gut."
Kern seines frühen Werkes bildet das Stück 'Maldoror Is Dead', welches in unterschiedlichen Versionen und unter verschiedenen Namen mehrfach veröffentlicht wurde und das damals die Basis der Current 93- Performances ausmachte.
Angeregt durch das misanthropische Werk Isodore Ducasses (1847-1870) lebt - oder besser gesagt stirbt - dieses Stück durch eindringliche Brachialklänge, die das herannahende Unheil verkünden. Das zerstörerische Element ist allgegenwärtig und spiegelt auf unmißverständliche Weise Tibets derzeitige Weltanschauung wider, die zwischen den pseudo-orientalischen Lehren Aleister Crowleys und den eschatologischen Ideen des Christentums schwankte.
"Ich weiß nicht, ob ich damals wirklich an die Apokalypse geglaubt habe, auf alle Fälle war ich fasziniert von dieser Idee und vielleicht wünschte ich sie mir. Damals dachte ich 'Schau dir all diese verkommenen Menschen in der Welt an! Ach, würde Gott nur herunterkommen, um sie alle zu vernichten... und nur die wundervollen Menschen wie mich behalten..."
Damals war Tibet Mitglied des O.T.O., des Ordo Templis Orientalis - einem einst von Crowley selbst geleiteten Orden, dessen jüngstes Mitglied Tibet zu der Zeit war.
In Anlehnung an den östlichen Tantra-Buddhismus praktiziert der Orden sexualmagische Rituale, deren Elemente aus verschiedenen östlichen Religionen entnommen wurden. Für Tibet, der heute den Tibetischen Lamaismus studiert und daher mit dem authentischen Tantra vertraut ist, ein fatales Mißverständnis westlicher Spiritualisten.
"Die Vorstellung der meisten westlichen Menschen von Tantra ist völlig falsch", betont er eindringlich, "sie sehen es als eine Art Sexual-Power- Magick an. Im Tibetischen Buddhismus, im Indischen Buddhismus, im Hinduismus, da gibt es überall dieses Element im Tantra, aber es ist nur ein winziges. Das ist so, als wenn man sagt, es gibt Parallelen zwischen Katholizismus und Buddhismus - dort gibt es auch kleine Aehnlichkeiten.
Eine Menge Leute halten Tantra für Sexualmagie und glauben, miteinander zu ficken, indische Musik zu hören und ausgeflippt auszusehen sei Tantra, aber das ist falsch. Tantra ist etwas ganz anderes...
"
Warum hast Du den O.T.O. verlassen?
"Aus sehr persönlichen Gründen. Aber auch aufgrund meiner großen Desillusionierung von Crowley. Dieses ganze Gebiet der Magick ist sehr, sehr schädlich, und es ist schlecht, sich auf ihm zu bewegen. Die meisten spielen ein Spiel, dessen Regeln sie nicht kennen. Manchmal ist es gefährlich, darin verwickelt zu sein."
Der Bruch mit der Crowleyanity brachte einen bedeutenden Wandel in das Werk David Tibets.
Während die erste Veröffentlichung 'LAShTAL', nach Crowley die Große Magische Formel des Neün Aeons, durch die zeremonielle Einspielung in dessen ehemaliger Thelema-Abtei auf Cefalu quasi eine musikalische Huldigung an den englischen Magier war, stand die weitere Arbeit zumindest durch den Projektnamen Current 93 (die 93 spielt als kabbalistisch-numerische Entsprechung der griechischen Worte agap‚, Liebe, und theleme, Wille, eine zentrale Rolle in Crowleys Lehre) unter seinem Stern.
Trotz der Entwicklung der Inhalte blieb der Name.
"Ich habe manchesmal daran gedacht, den Namen Current 93 zu ändern, aber... es hat nun mal alles unter diesem Namen begonnen, und ich hänge irgendwie an ihm." resümiert Tibet.
Ob neür Name oder nicht - die Schatten der Vergangenheit reichen bis heute und behaften die Band nach wie vor mit einem zwielichtigen Image, das manch unerwünschten Hörer anzieht. Eine traurige Sache für David Tibet, der sich dadurch häufig mißverstanden fühlt.
"Es macht mich krank, die ganzen Schwachköpfe von SATAN quatschen zu hören, und ich bin es leid, von Leuten ständig nach dem verfluchten Crowley gefragt zu werden! Briefe von Leuten wie 'Bitte sag uns, wie man viel MACHT bekommt... Bitte schreib uns zehn Seiten über die Grundsätze von Aleister Crowleys Philosophie...' Tja, es ist wirklich deprimierend, denn du bekommst all diese düüüsteren Gothic-Briefe, und sie alle haben überhaupt keinen Sinn für Humor. Ich finde, in den Current-Songs steckt eine Menge Humor! Ich meine nicht, daß sie zu Belustigung sind, aber sie haben eine Art mischievous humor."
Auch musikalisch vollzog sich eine essentielle Aenderung in der Arbeit David Tibets. Nach mehreren Veröffentlichung waren die Schockeffekte verbraucht, die Industrial-Landschaft schien ausgereizt. "Meine Interessen und Obsessionen wechseln ständig, darum langweilte es mich bald, immer das gleiche zu tun. Anfangs war ich von der Avantgarde-Musik sehr beeindruckt, aber mit der Zeit ließ es nach; und es wurde auch zu einfach solche Platten zu produzieren."
In dieser Phase ausklingender Begeisterung schaute sich David nach neür Musik um und stieß dabei auf die Arbeit von Douglas P., den er nach einem Death In June-Konzert in London ansprach und ihm gemeinsame Arbeit anbot.
Im 'Song For Douglas', den David während seines Aufenthaltes in Island schrieb, kommt die tiefe Freundschaft zum Ausdruck, die die beiden bis heute verbindet. "Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn Douglas tot wäre, und wurde auf einmal sehr traurig..."
Die Arbeit für Death In June brachte auch Current 93 neü Einflüsse durch akustische Instrumente.
"Die abstrakte Musik begann, mich zu langweilen, daher entschloß ich mich, nun solche Musik zu machen, die ich selber gewöhnlich höre, also Folkmusik, traditionelle Gitarrenmusik etc."
Die Tatsache, daß Tibet selbst kein Instrument spielen kann, verleiht ihm eine musikalische Unbefangenheit, die es ihm ermöglicht, die Essenz eines Stückes mit wenigen Akkorden auszudrücken. Seine Ekstase in der Darbietung verleiht dabei den Current 93-Stücken ihren unglaublichen Ausdruck.
Gemeinsam mit Douglas P. und der ehemaligen Strawberry Switchblade- Sängerin Rose McDowall (manchen LeserInnen vielleicht aus alten BRAVO-Skandalstories bekannt) entstand das bis dahin größte Projekt: 'Swastikas For Noddy', eine Huldigung an den englischen Kinderhelden Noddy, der Tibet in einer Kreuzigungsvision erschien und ihn fortan begleitete.
"Die Platte sollte eigentlich ein Popalbum werden, aber während der Aufnahmen wurde ich krank und geriet unter starke Depressionen, die sich auf die Stimmung auswirkten."
Die bizarre Kombination von Noddy und einem Hakenkreuz fand auch in der Musik ihre Umsetzung: die Mischung aus traditioneller Folklore, verfremdeten Kinderreimen und Manson-Samples erzeugt eine beunruhigende Stimmung.
Im direkten Anschluß an die Aufnahmen für 'Swastikas For Noddy' begann David Tibet mit der Arbeit an einem Album, das durch die fortschreitende Krankheit sein Vermächtnis zu werden schien: 'Imperium', ein Album, das die Endzeitstimmung der vorhergegangenen Werke mit einer Konseqünz weiterführt, die den früheren Zorn zu einem letzten Hauch des Lebens verblassen läßt.
Begleitet vom Klagegesang des Windes rezitiert Tibet die Worte Salomos aus der Bibel:
"Alle Flüsse laufen in das Meer, doch das Meer ist niemals voll... Das was war, soll sein; und es gibt nichts Neüs unter der Sonne... Es gibt eine Zeit, um zu lieben; und eine Zeit, um zu hassen, eine Zeit, um zum Pflanzen und eine Zeit zum Ernten, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden, eine Zeit, um geboren zu werden und eine Zeit, um zu sterben..."
Mit seinem ganz persönlichen Schicksal setzt sich David auf der B-Seite des Albums auseinander. Schon die Titelbenennung enthält eine Prämisse des Werkes: Sei auch eine Heuschrecke oder du bist allein (Be Locust Or Alone). Die in dem Stück enthaltene Schlüsselstelle 'Only the Strong survive, all of the Weak are trampled under' gab häufig Anlaß zu Mißverständnissen.
Was bedeutet diese Zeile für Dich?
"So fühlte ich mich damals. Ich schaute mich in der Welt um und sah überall das Prinzip des Stärkeren, der die Schwachen zermalmt - aber ich wollte damit nicht sagen, daß ich dieses Prinzip gut finde", erklärt Tibet. "Vielleicht ist es immer noch so, aber heute trage ich mehr Licht in meinem Herzen als damals..."
Als er das Album 'Imperium' vier Jahre später auf CD wiederveröffentlicht, ist das Cover um einen Textauszug aus 'Death & The Drummer' bereichert. Darin schreibt der Autor Denis Saurat: "Leiden - das Böse in der Welt: das verwirrt euch tiefgründig, denn ihr habt nicht verstanden, daß dieses das Leiden Christi ist, welches von überall ausgeht. Das Leiden, das er selbst auf sich genommen hat, um die Welt zu erschaffen, damit ihr Seelen haben könnt. Und sobald ihr das kleinste Teilchen dieses Leidens ertragen müßt, heult ihr auf." Die Auseinandersetzung Tibets und die Ueberwindung seines Leids sollten das Werk später zu einem Läuterungsprozeß machen, der seinen Glauben auf neü Bahnen lenkte. Unter der Leitung des Chi'med rigdzin Lama Rinpoche wandte sich Tibet mehr und mehr dem Buddhismus zu. "Mein Interesse am Buddhismus wuchs ständig. Schon als ich klein war, interessierte ich mich für die tibetische Kultur. Da ich in Malaysien geboren wurde, hatte ich schon früh Kontakt zum Buddhismus. Später lernte ich Buddhisten kennen und mein Karma entwickelte sich immer weiter dorthin."
Spätestens mist dem 1988 vertonten Gedicht 'Hourglass' von John hall gelangen Current 93 zu dem ihrem Wesen nächsten Stil, dessen Wurzeln im traditionellen Folk liegen und den David Tibet treffend als Apocalyptic Folk bezeichnet.
Viele Leute finden die neü Musik zu konventionell...
"Jaja, manche Leute sind etwas snobbig, sie meinen, weil etwas hörbare Musik ist, sei sie schlecht... Ich glaube nicht, daß sich die Substanz meiner Musik verändert hat. Das Wesentliche ist geblieben."
Der Text von 'Hourglass' vergleicht das Leben eines Menschen mit dem Ablauf einer Sanduhr. Entspricht das Deinem Verständnis von Zeit, eine Zeit, die abläuft...?
"Oh, ich habe mich schon immer für die Vorstellungen von Zeit interessiert. Die christliche Theorie sieht die Zeit in einem linearen Ablauf, während der Buddhismus eine vollkommen andere Art der Auffassung von Zeit hat. Im Christentum bedeutet die Apokalypse: Das war's, kaputt, Ende, Aus! Im Buddhismus dagegen findet auch eine Art Apokalypse statt, aber sie sehen es auf eine andere Weise. Meine persönliche Ansicht ist: Wenn die Zeit auszulaufen scheint, dann ist es nur eine Täuschung, denn ich sehe die Dinge vom buddhistischen Standpunkt aus."
Der Mensch als einziger, aber ohnmächtiger Zeuge göttlicher Führung. Größe und Elend nennt Blaise Pascal dieses menschliche Selbstverständnis, das im gesamten Akustik-Teil des C93-Werkes inkarniert. "Wenn ich mit Leuten über meine Arbeit spreche, empfehle ich ihnen gerne die Gedankenaufzeichnungen von Pascal. Ich habe zwar eine gespaltene Meinung zu seinen Ansichten, aber vieles gefällt mir. Wenn er sagt, er glaubt an Jesus Christus als den Sohn Gottes, dann denkt er diesen Gedanken weiter und zieht Konseqünzen daraus." Auch Tibet glaubt heute an Jesus Christus als den Sohn Gottes. Damit schließt sich für ihn in gewisser Weise ein großer Kreis von seiner anfänglichen Auseinandersetzung mit dem Christentum, über seine Abwendung bis zu seiner Rückkehr, gleich dem verlorenen Sohn. "Ich habe nie etwas gegen Jesus gehabt.", erinnert sich Tibet. "ich glaubte auch nicht, daß meine älteren Platten antichristlich oder so etwas sind. Im Gegenteil, für mich ist 'Nature Unveiled' in vielerlei Hinsicht ein sehr katholisches Album!"
Heute sind es aber nicht mehr die eschatologischen Ideen des Urchristentums, die ihn einst faszinierten, sondern der große Mythos vom Leiden Jesu Christi, der sein Interesse weckte. In dem Stück 'In The Heart Of the Wood' beschreibt Tibet die Situation, in der ihm das Prinzip Jesu Leiden in der Natur vergegenwärtigt wurde. "Ich spazierte mit einer Frau, die ich sehr gern mochte, über einen Deich in Island, als mir plötzlich die Erkenntnis kam, daß Christus in jeder Blume in jedem Moment stirbt und wiederaufersteht, und nicht nur das - gleichzeitig tut er dies auch im Wind, im Meer, im Schutt, überall..." Die Verwendung von Allegorien, für deren Inhalt Tibet sich unterschiedlichster Mythen bedient, sorgte eigentlich seit Beginn für die mystische Ausstrahlung seiner Texte. Doch mit dem Verblaßen der destruktiven Kräfte in der Musik C93s tritt diese romantisierende Sicht immer mehr in den Vordergrund und wird zum bestimmenden Prinzip ihrer Arbeit.
Im 1989 in Japan entstandenen Epos 'Horse' verleiht David seiner Ohnmacht Ausdruck, die ihn bei dem Verlust einer Freundin an das Heroin befällt. Er bedient sich dabei des englischen Slangausdruckes 'Horse' (für Heroin) als Metapher für seine symbolische Verarbeitung, bei der seine Freundin das Pferd zum Reiten benutzt und erst im vollen Galopp bemerkt, daß sie zwar die Reiterin, das Pferd jedoch der Herr geworden ist.
Auch in 'Hitler As Kalki' auf dem neün Album 'Thunder Perfect Mind' spielt das Pferd eine wichtige Rolle. In einer apokalyptischen Vision, die den Offenbarungen der indischen Schriftstellerin Savitri Devi entliehen ist, erscheint Kalki, die letzte Inkarnation des hinduistischen Gottes Vishnu, in Gestalt von Hitler auf einem weißen Pferd reitend, um den jetzigen Weltenzyklus zu zerstören. Devi mystifizierte Hitler als Inkarnation Gottes und wartete auf seine Rückkehr. "Sie war davon überzeugt, daß er als Weltenzerstörer kam und gestoppt wurde, bevor er seinen Auftrag erfüllen konnte. Daher glaubte sie daran, daß ein neür Hitler kommen würde, um die Zerstörung zu vollenden - und möglicherweise hat sie damit recht." Die Lyrics in dem Stück schließt David Tibet in dem Booklet von 'Thunder Perfect Mind' mit den Worten: "Mit zwei silbernen Münzen in meinen Händen, mit denen ich entweder meine Augen bedecken oder sie als ein Gnadenopfer anbieten könnte, warte ich mit Hoffnung darauf, daß die Zerstörung vorbei zieht und ein neür Himmel und eine neü Erde erscheinen. Wartet und betet."

Auf den Abdruck der umfangreichen Discographie haben wir aus Platzgründen verzichtet. Interessenten können eine ausführliche Auflistung aller Current 93 Veröffentlichungen bestellen bei:
BM Wound, London, WC1N 3XX, England

My favorite books (in no particular order) are:
COLLECTED GHOST STORIES OF M.R.JAMES
FINNEGANS WAKE by James Joyce
THOUGHTS by Blaise Pascal
Everything by Philip K. Dick (especially UBIK and VALIS)
BILLY AND BETTY by Twiggs Jameson
RIDDLEY WALKER by Russell Hoban
The first 5 NODDY books by Enid Blyton
COLLECTED WORKS of William Blake
Texts from THE NAG HAMMADI LIBRARY
Many tibetan texts, especially from the rNying.ma tradition
Works by Dostoyevsky, Hildegard von Bingen, Lafcadlo Hearn
SHIFTING WORLDS, CHANGING MINDS by Jeremy Hayward
CONFEDERACY OF DUNCES by J.K.Toole


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