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Current 93
Glasnost Magazine



Bevor David Tibet 1981 unter dem Namen CURRENT 93 anfing, mit verschiedenen Leuten zusammen Musik zu machen, hat er mit scheinbar mäßigem Interesse Politologie studiert. Er merkte wohl recht schnell, daß seine Talente auf anderen Gebieten liegen, denn die Themen der Band stammen größtenteils aus dem spirituellen Bereich. Vielleicht ist das der Grund, warum alles, was mit CURRENT 93 auch nur entfernt zu tun hat, von dieser bekannten rätselhaften Aura umgeben ist, die die Band mit den Jahren für immer mehr Leute zum Inbegriff des Wortes "Kultgruppe" werden ließ. Wir trafen David Tibet und haben so die Gelegenheit, die diesseitigen und jenseitigen Aspekte seiner Person und seiner Arbeit den GLASNOST-Lesern etwas näher zu bringen.

Du hast mit "Sadness Of Things", "Island" und "Thunder Perfect Mind" drei sehr verschiedene Alben innerhalb von 18 Monaten veröffentlicht. Kommen die Unterschiede dadurch zustande, daß du jeweils mit anderen Leuten zusammengearbeitet hast?

TIBET: Ja, schon. Zum einen habe ich an diesen Sachen schon viel länger gearbeitet, die kamen nur zufällig so kurz hintereinander heraus. "Island" nahm 6 Jahre in Anspruch, mit "Sadness" habe ich vor 3 Jahren angefangen, und "Thunder" beschäftigte mich insgesamt 2 Jahre. Zum anderen hängt es natürlich immer auch von den Leuten ab, die mit dabei waren. Bei "Island" habe ich mit Hilmar Örn Hilmarsson (HÖH) und bei "Sadness" hauptsächlich mit Steven Stapleton zusammengearbeitet. An "Thunder" waren noch sehr viele andere Leute beteiligt.

Es macht dir keine Schwierigkeiten, so verschiedene Musikstile unter einen Hut zu bringen?

TIBET: Nein, weil ich das gar nicht so einteile. Zuhause höre ich auch Klassik, Folk oder experimentelle Musik, und ich weiß schon, daß die Stile unterschiedlich sind, aber das ist doch nur sehr oberflächlich. Die Atmosphäre und die Grundstimmung dahinter sind eigentlich überall gleich, "Thunder" ist vielleicht ein mehr christliches Album, "Sadness" zeigt mehr die buddhistische Sichtweise.

"Thunder Perfect Mind" ist letztes Jahr zu deinem Geburtstag erschienen. Gab es dafür einen besonderen Grund?

TIBET: (grinst) Ich sehe das als ein Geburtstagsgeschenk von mir an mich. Das könnt ihr euch so richtig schön vorstellen: Da sitze ich dann mit 1000 CDs und auf jeder ist mein Gesicht drauf! Das ist doch das schönste Geburtstagsgeschenk, was man sich denken kann! Frühere Alben sind zwar nicht zu meinem Geburtstag erschienen, aber mit den Jahren bin ich etwas eitel geworden. Eigentlich wollte ich meine Sachen schon immer an wichtigen Daten veröffentlichen: an meinem Geburtstag, dem Geburtstag von William Blake (britischer Maler und Dichter, 1757-1827) oder an dem meines letzten Schultags. Mittlerweile habe ich eine Menge mehr Kontrolle über die Dinge, die ich veröffentliche und kann das also bestimmen.

Als "IsIand" heraus kam, haben sich einige gefragt, ob du total verrückt geworden bist, jetzt so ein poppiges Album zu bringen.

TIBET: Naja, die Musik ist von Hilmar, und er liebt halt mehr das Symphonische. In einer Kritik habe ich gelesen, daß ich jetzt wie Enya klinge. Kein Problem, ich mag Enya, aber die Texte und die Stimmung des Albums finde ich doch sehr depressiv, aber was soll's, einige Leute beschweren sich immer - fuck them!

Als du damals deinen Stil von experimenteller Musik in die Folk Richtung geändert hast haben die Fans sich da nicht auch beschwert?

TIBET: Es war komisch, zu der Zeit als Douglas und ich "Swastikas For Noddy" schrieben, war das genau die Platte, die ich wollte, aber ich war überzeugt, daß meine Karriere zerstört sein würde, wenn sie herauskommt: Die Leute würden die Platte auflegen und erwarten, "BÄÄÄAARGROOAIIOUU ... Dominus in nobis...." (Er wird für einen Moment wieder zum Tibet von 1983) zu hören, stattdessen kommt nur "schrammel-di-schramm", aber wie gesagt: Fuck them!, genauso wollte ich sie haben! Dann wurde sie veröffentlicht und verkaufte sich sehr gut. Douglas hat das vorausgesehen.

Douglas (aus dem Hintergrund): Mehr Leute als je zuvor kauften CURRENT 93. Ich hatte recht und du unrecht.

TIBET: Jetzt mögen die meisten Leute mehr diese Richtung und sehen uns als etwas verrückte Folk Band, was wir ja eigentlich auch sind.

Glaubst du, daß seit der Stiländerung andere Leute deine Musik hören?

TIBET: Gute Frage, aber das gehört mit zu dem Punkt, daß die Inhalte sich trotz der anderen Musikrichtung nicht großartig verändert haben. Einige Leute wollten keine Veränderung. Sie dachten bestimmt, Tibet wird kommerziell, aber die meisten Fans die meine Sachen 1983 gekauft haben, tun das auch gottseidank heute noch, denn ihnen geht es wie mir: man wird älter, und die Interessen ändern sich.

Deine Popularität wird von Jahr zu Jahr größer. Wie wirst du damit fertig, beeinflußt es deine Arbeit?

TIBET: Musikalisch hat es keinen Einfluß, denn ich war noch nie daran interessiert, das zu machen, was die Leute hören wollen. Die größte Auswirkung ist wohl, daß ich viel mehr Post bekomme als früher. Da ich auch jeden Brief selbst beantworten will, nimmt das viel Zeit in Anspruch und kann recht langweilig werden, wenn Leute immer die gleichen Fragen stellen (Douglas nickt zustimmend), es kann aber auch sehr lustig sein. Mit der wachsenden Popularität ist das so eine Sache, Douglas nimmt seit '77 Sachen auf und ich seit '81. Wenn uns nun heute weniger Leute als damals gut fänden, wäre das ziemlich deprimierend, denn wir haben viel gearbeitet. Manchmal kommen Leute nach einem Konzert zu mir und sagen: "das Konzert war super, aber beim nächsten mal werden wir nicht mehr dabei sein, weil du uns zu populär geworden bist". Sie wollen einen als Kultgruppe in Erinnerung behalten, was ich auch voll verstehen kann, weil es mir manchmal auch so ging mit meinen Lieblingsbands, die bekannt geworden sind. Vielleicht sind Amon Düül II die einzige Kult-Band, die sich nicht verkauft haben!? Man muß nicht unbedingt kommerziell werden, wenn man bekannt wird, aber wenn du irgendwann mehr Interesse am Geld als an der Musik hast, bist du am Ende (grinst tibetanisch), weil ich sowieso so viel Geld habe, ist mir das aber alles egal!

Wenn deine Popularität weiter wächst, kannst du dir vorstellen, auch in größeren Hallen Konzerte zu geben?

TIBET: Nein, eigentlich mag ich das live Spielen überhaupt nicht. Nachdem Douglas und ich die 92/93er Tour beendet haben, werden wir erstmal zwei Jahre Pause machen, um uns ganz auf Schreiben und Aufnehmen konzentrieren zu können.

In den letzten Jahren hast du mehrmals in Amiens (Frankreich) gespielt, und Leute, die dort waren, meinten, diese Konzerte seien absolut nicht mit denen in Deutschland vergleichbar.

TIBET: Ja es ist schon etwas Besonderes. Beim letzten mal haben wir dort in einer Kirche gespielt. Es war zwar arschkalt, aber die Atmosphäre war wunderbar. Das einzige, was mich immer zweifeln läßt, ist daß ich meine, zu oft mit CURRENT 93 aufzutreten. Bei Death In june ist das was anderes, da helfe ich nur am Bass aus, weil Douglas mein Freund ist, aber wenn ich mit CURRENT 93 mehrals ein einmal im Jahr auftrete, ist mir das schon zuviel, und mein Interesse erlahmt. Letztes Jahr sagte ich zu meiner Freundin: "Ich bin zu oft aufgetreten", sie meinte dazu nur: "Du hast bloß einmal gespielt", dabei fühlte ich mich, als ob es mindestens dreimal gewesen wäre!

Warum erlahmt dein Interesse so schnell?

TIBET: Man steht eineinhalb Stunden auf der Bühne, was ich wirklich mag, aber ich werde immer schon drei Monate vor den Konzert von Ängsten geplagt, ob an dem Abend auch alles klappt.

Ist es für dich persönlich ein Unterschied, ob du in Amiens oder in Deutschland spielst?

TIBET: Nur der Unterschied, ob ich ein Konzert oder eine ganze Tour spiele. Wenn ich nur einen Abend in Bochum wäre und danach nach London zurückginge,wäre das genauso. Der Ort spielt natürlich auch eine Rolle, ob ich in einer Kirche in Amiens oder sonstwo in einer Toilette auftrete. Oh (leicht verlegen), eigentlich wollte ich jetzt nicht sagen, daß alle anderen Orte Toiletten sind, ich wollte damit nur verdeutlichen, daß die Umgebung einen großen Einfluß hat.

Und das Publikum?

TIBET (sieht sich um, ob Douglas noch im Raum ist): Im Death In June Publikum sind viel mehr Gothics.

Du magst keine Gothics?

TIBET: Doch,doch, ich würde mich zwar nie so anziehen, aber wenn ich welche von ihnen treffe sind sie wirklich sehr nett und freundlich. Ich meine nur, daß bei meinen Konzerten ein gemischtes Publikum da ist, und in Frankreich scheint diese Mischung noch etwas größer zu sein als in Deutschland. Vor 3 Jahren hatten wir höchstens mal zwei Goths zwischen den Zuschauern.

Gab es in Amiens keine Probleme mit dem Pfarrer? Kannte er deine Musik?

TIBET: Er wollte eigentlich kommen, war dann aber leider doch nicht da. Es wurde ihm wohl gesagt, daß wir eine mittelalterliche Folk-Band seien, und da er sehr liberal ist, gab es von seiner Seite her keine Schwierigkeiten. (Kilngt wie Kirche in der DDR 1983, Anm. des Setzers)

Na gut, dann jetzt ein paar konkretere Fragen zu deinen Texten...

TIBET (lacht): Oh ja! Schwierige Fragen!

Auf "Thunder Perfect Mind" befindet sich das Stück "In The Heart Of The Wood And What I Found There" - bei uns (in Süddeutschland) ist das der totale Tanzbodenkracher.

TIBET: Was?!? Wie kann man denn auf sowas tanzen? Jedenfalls ist es mein Lieblingslied, das beste Lied, das ich je gemacht habe! Es liegt mir wirklich sehr am Herzen!

Kannst du uns den Text erläutern?

TIBET: Nun, wie gewöhnlich bei meinen Liedern fließen hier viele verschiedene Ideen zusammen. Es vereinigt zwei Aspekte in sich: einen theoretischen und einen persönlichen. Der theoretische, religiöse Aspekt leitet sich von der in der christlichen Kirche als Irrlehre bezeichneten Idee des Patripassionismus her. Dieser Lehre liegt folgende Vorstellung zugrunde: Als Christus ans Kreuz geschlagen wurde, ist er nicht gestorben. Ich rede jetzt nicht davon, daß er lebendig wieder abgenommen wurde, sondern daß im Moment der Kreuzigung, als sein Todeskampf begann, die Zeit zum Stillstand gekommen ist. Christus ist also immer noch am Kreuz, schreiend vor Schmerz, und alles, was wir jetzt tun, betrifft auch ihn. Also, wenn du Gutes tust, werden seine Schmerzen gelindert, und wenn du jemanden zusammenschlägst, werden sie schlimmer. So etwas fasziniert mich! Es ist wie eine Pyramide, auf deren Spitze man etwas stellen will, man weiß nie, in welche Richtung es hinunterfällt, es ist unmöglich, es auszubalancieren, es kommt niemals zur Ruhe. Philip K. Dick (Schriftsteller, der unter anderem die Romanvorlage zum Film "Blade Runner" geschrieben hat) hatte eine ähnliche Ansicht. Er bezeichnete Satan als den Affen Gottes, weil der Affe dem Menschen am nächsten steht und immer versucht, ihn zu imitieren, was ihm aber nicht besonders gut gelingt. Das ist auch eine alte, christliche Idee. Für Dick ist Satan wie Gott. Er tut Dinge, die uns, wenn wir nicht aufpassen, gut erscheinen, es aber eigentlich nicht sind. Der Patripassionismus vertrat diese Richtung, und auch ich glaube daran. Das ist also ungefähr der theoretische Ansatz zu diesem Stück. Das habe ich dann mit der Ansicht verbunden, daß man Gott überall erkennen kann, wenn man die "menschliche Brille" abnimmt, natürlich nur im übertragenen Sinn! Ich erinnere mich an eine Begegnung, die ich mal in London auf der Straße hatte. Ein Typ mit einem Kind auf dem Rücken kam auf mich zu und fragte. "Hasse 'n bißchen Kleingeld übrig?". Ich dachte, okay, und gab ihm ein Pfund, als plötzlich, und nur ganz kurz, die Szene verschwamm und ich St. Christopherus mit dem Jesuskind vor mir stehen sah, aber danach war es doch nur wieder dieser abgerissene Typ. Die anderen Teile sind mit einem Besuch von mir bei den Cliffs of Moher in Irland verknüpft. Ich bin dort mit einer Frau namens Mary herumgelaufen.

Aber nicht die Mutter von Jesus!?

TIBET (lachend): Nein, ich wünschte, es wäre so, aber es ist auch ein Wortspiel. Das Stück handelt eigentlich von meinen Gefühlen der Realität, Christus und der Wirklichkeit von Christus gegenüber, und wie ich zusammen mit anderen darüber nachgedacht habe. Darüber hinaus ist es mit der Legende von St. Eustachius verbunden. Er war ein Jäger und Trunkenbold, der eines Tages ein schönes Reh in den Wald verfolgte und sich dabei verirrte. Plötzlich befand er sich im Herzen des Waldes, wo ein prächtiger Hirsch stand, den er erlegen wollte. Der Hirsch dreht sich zu ihm um, und ein Kruzifix erscheint zwischen seinem Geweih... wie beim "Jägermeister", was wohl von einer ähnlichen Legende kommt. Jedenfalls sagt er zu Eustachius: "Du hast mich das ganze Leben lang gesucht, ohne es zu wissen, und jetzt hast du mich gefunden." Eustachius wurde daraufhin zum Heiligen. Darüber hinaus bedeutet das Wort "Heart" im Englischen nicht nur "Mitte" oder "Herz", sondern kann auch Hirschkuh heißen (wird dann aber "hart" geschrieben).

Ich erinnere mich daran, daß du auch in früheren Alben sehr gerne christliche, genauergesagt biblisch-apokalyptische Themen verarbeitet hast. Die Apokalypse scheint dich auch heute noch zu beschäftigen, allerdings mehr von östlicher Philosophie geprägt, wie z.B. bei "Hitler As Kalki"!?

TIBET: In früheren Zeiten war ich sehr fasziniert von diesen biblisch-apokalyptischen Themen. Das merkt man sehr stark auf den ersten Platten. Und obwohl ich zu der Zeit, als mein erstes Album "Lashtal" erschien, ein Mitglied in einer Crowley-Vereinigung gewesen bin, habe ich sehr bald damit aufgehört. Heute bin ich ziemlich gegen solche Gruppen. Aber dennoch habe ich mich weiter für die christliche Apokalypse interessiert - welche mein Weltbild seit ich ein kleiner Junge war, zusammen mit den östlichen Religionen (ich selber stamme aus dem Osten, habe dort auch 14 Jahre gelebt) nachhaltig geprägt hat. Das hat sich auch ganz besonders in den ersten Alben gezeigt: ich hatte damals tatsächlich das Gefühl, daß wir in den letzten Tagen vor dem Weltuntergang leben. Heute übrigens auch noch Eines der Themen aus der Offenbarung, die mich damals wie heute ganz besonders faszinierten, ist folgendes: Eines Tages, ganz plötzlich, werden sich die Wolken am Himmel auftun, und Christus wird auf einem weißen Pferd herabkommen, im Gefolge die Scharen der Engel; und Satan wird sich aus den Tiefen der Erde erheben! Es scheint offensichtlich, daß die Menschen vor tausend fahren dies wortwörtlich geglaubt haben - das ist die Wahrheit! Heute denken wir, es sei eine Metapher. Ich glaube nicht, daß es eine ist. Ich glaube, die Dinge werden wirklich so passieren. Faszinierend finde ich auch, wie die Leute heutzutage die Apokalypse auffassen: Eher im metaphorischen Sinn, also daß die Welt tatsächlich durch die Umweltverschmutzung vergiftet wird oder durch Kriege und Morden zugrunde gerichtet wird, und all das passiert ja auch wirklich. Aber die Vorstellung, daß wir eines Tages nach oben schauen, und der Himmel - KRRRRR! - sich öffnet, Christus auf einem weißen Pferd erscheint und die Leute mit offenen Mündern dastehen und hauchen: "..ffffucking hell! Ich dachte immer, das wäre nur eine Metapher?!!", finde ich sehr interessant. Wir denken heutzutage, daß Hölle und Himmel oder die Rückkehr von Christus oder Kalki nur im symbolischen Sinne existieren, aber wenn ihr mich fragt, ich glaube, diese Dinge sind so wirklich wie du und ich. Vielleicht sind wir garnicht so wirklich, aber diese Dinge sind es dann zumindest genausowenig. Und nun, 12 Jahre nach meiner ersten Platte, hege ich noch immer die gleichen Interessen. "Hitler As Kalki" handelt im Einzelnen von der Ansicht, daß Vishnu, der Hindu-Gott, in jedem Weltenzyklus zehnmal erscheinen wird, auf die Erde kommt, reinkarniert; z.B. Krishna, Rama usw. sind alle Inkarnationen von Vishnu. Seine letzte Inkarnation ist Kalki - ein weißer Mann auf einem weißen Pferd, der wie ein Mensch aussieht. Das ist für indische Götter ungewöhnlich, die allesamt viele Arme oder viele Köpfe oder beides gleichzeitig haben. Kalki sieht aus wie ein ganz normaler Mann, der auf einem Pferd reitet, ein brennendes Schwert in der Hand hält, mit dem er die Welt vernichtet. Eine Interpretationsmöglichkeit dieser Legende wäre, daß Kalki bereits erschienen ist, und zwar als Hitler. Und Hitler hat tatsächlich die Weit zerstört. Obwohl wir immer noch darin leben. Sein Schwert ist auf uns niedergegangen, und die Welt bricht auseinander. Kalki ist erschienen und hat das Ende der Welt eingeläutet. Ich glaube, das ist die Wahrheit. Aber wann nun alles wirklich zu Ende geht - in zehn Jahren, in zwanzig Jahren, in tausend Jahren... Die Hindus denken in gewaltigen Zeiträumen. Wenn der Hindu-Gott Brahma erwacht, erwacht die Welt und durchlauft ihren Lebenszyklus. Wenn er schläft, schlafen alle.

"All the Stars are dead now" ist auch sehr apokalyptisch. Im BookIet findet sich eine Anmerkung, daß es sich hierbei um eine Prophezeiung handelt!?

TIBET: Nun, ich habe auch dazu geschrieben, es wäre ein "Planh" Das ist ein ganz persönlicher Nachruf an einen engen Freund. Das Wort stammt aus Frankreich, aus dem Mittelalter, man könnte es mit "Totengesang" übersetzen, und dieser war eine Eingebung, die ich von William Blake in einem Traum erhielt. Das war ziemlich merkwürdig, denn in dieser Nacht hatte ich viele Alpträume, bin so gegen drei Uhr morgens erwacht, schweißgebadet, fast als hätte ich Blut geschwitzt, und war wie von Furcht geschüttelt. Dann habe ich zu schreiben begonnen, die Seiten habe ich immernoch zu Hause, und als ich sie mir am nächsten Morgen angesehen habe, stellte ich fest, daß sie nicht in meiner Handschrift geschrieben waren! Auf manchen habe ich den Stift so fest auf das Papier gedrückt, daß Löcher darin waren, und manche Absätze kann ich nicht mal mehr entziffern. Die apokalyptische Aussage meiner Lieder ist die gleiche wie früher. Ich habe nur die Schwerpunkte und die Stimmung ein wenig verändert. Außerdem beziehe ich heute viel mehr Dinge in meine Arbeit mit ein. Eine Menge Ideen für meine Lieder liefern mir meine Träume, wie z. B. auch bei "Lament For Suzanne". Von ihr ist ein Foto im Booklet von "Thunder". Suzanne war eine ehemalige Freundin von mir. Das ist 13 Jahre her und die Inspiration zu diesem Stück hatte ich auch durch einen Traum.

War Suzanne dasselbe Mädchen, für das du "Horse" geschrieben hast?

TIBET: Nein, das war für eine andere Freundin von mir, die heroinabhängig war (horse: engl. Umgangssprache für Heroin). Dieses Lied war Ausdruck meiner gemischten Gefühle für sie, als sie mich verlassen hat. Denn wenn es etwas gibt, was ich wirklich nicht mag, dann sind das Drogen, und Heroin verabscheue ich ganz besonders; ich habe schon viele Freunde daran sterben sehen. "Horse" war das erste Lied, in dem ich über etwas geschrieben habe, wovon ich wirklich persönlich betroffen war. Alle anderen Lieder waren vielleicht theoretische Gebilde in meinem Kopf zu diesem oder jenem Thema religiöser oder sonstiger Natur. Aber bei "Horse" ging es um einen Menschen, den ich gekannt habe. All die Szenen in diesem Lied habe ich miterlebt. "She dips it in water, confession of faith..." Es geht da um einen Ring, den sie in Weihwasser taucht, und diesen Ring trage ich heute noch an meinem Finger. In einer anderen Szene spricht sie von ihrem Arm: "It's blue an the inside, it's blue on the outside, and then she buckled as if she would die...", und ich kann mich noch genau erinnern: sie hatte sich gerade wieder ihren Schuß gesetzt, und ihr kam es so vor, als ob ihr Arm blau wäre. Für mich sah es nur etwas weiß aus, aber sie sagte zu mir "It's blue in the inside...", und dann klappte sie zusammen, und ich glaubte wirklich, sie müßte jetzt sterben. Das sind alles Dinge, die mir noch heute ziemlich deutlich vor Augen stehen. Das alles vermischte sich mit einem Besuch bei einem Freund von mir in Katmandu, einem Professor der Tibetologie. An einerstelle im Lied heißt es "Smandkar! People die for, they give up their lives for!", und Smandkar ist das tibetanische Wortfür Heroin. Wörtlich übersetzt bedeutet es "weiße Medizin". Und so ist das ganze ein Mischmasch aus allem, womit ich dieses Thema in Verbindung gebracht habe.

Das Album "Horse" war in dieser Box, die du zusammen mit Nurse With Wound und Sol Invictus herausgegeben hast. Wirst du es noch auf CD veröffentlichen?

TIBET: Ja, zusätzlich werden noch zwei Versionen von "Broken Birds Fly" und andere Stücke dabei sein, die ich alle in Japan mit denselben Leuten aufgenommen habe, die an "Horse" mitgearbeitet haben. Steve Stapleton ist von dieser Idee nicht sonderlich begeistert, weil die Sachen teilweise wie Country und Western klingen, aber die Japaner sehen das nicht so eng. Die haben eben eine ganz andere Einstellung zu ihrer Musik.

Es heißt, daß du an einem Buch schreibst.

TIBET: Ja, das stimmt. Ich schreibe an einem Roman und an einigen kurzen Geister-Geschichten, aber ich brauche dazu immer sehr lange, weil ich es einfach nicht gewöhnt bin zu schreiben. Eine neue Platte aufzunehmen fällt mir viel leichter. Außerdem kommt noch ein Comic heraus. Eine Art psychedelischer Noddy-Comic, der von James Mamox gezeichnet wurde. Dabei ist noch eine CD mit schrecklichen Alptraum-Schlafliedern für Kinder, an der auch Stapleton und Leute von Coil mitgewirkt haben.

Und was können wir von CURRENT 93 als nächstes erwarten?

TIBET: Geplant ist im Moment eine "Best Of" Doppel-CD, jedenfalls was ich dafür halte, ergänzt mit einer Reihe unveröffentlichtem Zeug.

Hast du vor, mal wieder eine "CURRENT 93 presents..." herauszubringen?

TIBET: Ich möchte immer noch gern die Doppel-CD von meinem Lama veröffentlichen, auf der er das tantrische "Chöd"-Ritual zelebriert. Dieses Ritual dient zur Befreiung des Selbst von Ego-Gefühlen. Es wird auf einem Friedhof auf einer Leiche sitzend durchgeführt. Man liest dabei eine lange Beschwörung, bei der die Dämonen eingeladen werden, deinen Körper zu fressen und dich total zu zerstören, um das Ego zu töten. "Chöd" bedeutet "zerhacken", wie mit einer Axt. Dieses Ritual wurde noch nie in voller Länge veröffentlicht, daher möchte ich das tun. Die Aufnahmen sind schon fertig, aber Gott weiß, wann es herauskommen wird. Ich würde gerne noch mehr "presents..." Sachen herausbringen. Aber ich möchte auch nicht, daß das Label zu einem Ethno-Label meiner persönlichen Vorlieben wird. Deswegen achte ich darauf, daß die Sachen immer noch eine persönliche Verbindung zu mir haben.

Vielen Dank, David, für das Interview!

Nach diesem Interview bleibt bei uns allen der Eindruck zurück, daß David Tibet gar nicht zu ahnen scheint, was für eine Verehrung ihm von seinen Fans zuteil wird. Jegliche Starallüren sind ihm fremd, und er ist darauf bedacht, den direkten Draht zum Publikum immer aufrecht zu erhalten, wodurch wohl auch die fast familiäre Atmosphäre bei den Konzerten von CURRENT 93 entsteht. Dabei paßt dieser witzige Mensch mit der markanten Stimme so überhaupt nicht in das landläufige Bild des abgehobenen Untergangspropheten. Man merkt vielmehr, daß die rätselhafte Symbolik seiner Texte nicht dazu dienen soll, der Band einen kultischen Anstrich zu geben, ohne den zur Zeit scheinbar fast keine Gruppe im Experimental- und Gothic Bereich mehr auskommen kann, sondern einzig seinen weitgefächerten religiösen Interessen und seinem vielfältigen Erfahrungsschatz entspringen. Es bleibt zu hoffen, daß wir CURRENT 93 und auch Death In june nach ihrer Pause wieder auf Europas Bühnen zu sehen bekommen.


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